Wunderwundenheiler.

©Kerstin Fiedler, Neukloster. Neuklosteraner See / HOME
©Kerstin Fiedler, Neukloster. Neuklosteraner See / HOME

Ich kenne mich nicht. Das habe ich nie getan. Ich gehe durch die Welt und bekomme nur ganz selten einen Spiegel vor die Nase gehalten.

[showhide more_text=”CONTINUE READING” less_text=”HIDE”]

Schon wieder ist es eine Weile her, dass von mir nichts zu hören oder zu lesen war. Zeit verliert sich. Zeit verliert mich. Ich lasse mich manchmal auch verlieren und tue einfach das, was mir eben gefällt. Inzwischen ist Weihnachten vorüber und wir haben ein neues Jahr. Ich halte nichts von Vorsätzen, da sie spätestens im Februar sowieso verpufft sind, aber dieses Jahr habe ich mir doch tatsächlich selbst einen gemacht. Ich will mich verändern. Keine neue Frisur, keine neuen Klamotten. Ich will mein Innerstes verändern. Denn ich finde es nicht mehr schön.

In mir herrscht ein Sturmgewirr. Es legt sich nicht, da ich mich erst noch besser kennen lernen muss. Wenn man innerhalb von drei Jahren eine komplette 180-Grad-Wendung hinlegt, hinterlässt das Spuren. Und ich kann immer noch nicht sagen, ob mir die Spuren von damals oder die von heute besser gefallen. Oder ob es eine Mischung aus beidem werden soll.
Was mich freut, ist, dass es Leute gibt, die mich gut kennen. Andere wiederum behaupten das nur. Und wieder andere interessiert es nicht, was sie behaupten. Ich gehöre zu keiner der drei Kategorien. Ich weiß nicht, ob ich mich gut kenne. Ich sehe in die unterschiedlichsten Spiegel, in Autoscheiben, ins Wasser und in Selfies, aber ich erkenne mich meistens nicht. Man braucht auch keine spiegelnden Gegenstände, um das zu können. Ich zumindest nicht. Wenn ich wissen will, wie ich in einer bestimmten Situation reagieren würde, frage ich meinen Freund. Oder meine Mutter. Wenn ich frustriert bin, hat nur mein Bruder die besten Chancen, alles ein wenig besser zu machen. Wenn ich nachdenken muss, wissen alle, dass ich niemanden sehen will. Wenn mein Kopf zu voll ist, checkt meine beste Freundin sofort, dass sie mir Zeit zum Brainstormen geben muss. Aber wenn ich mich selbst erkennen will, dann muss ich nur eins tun: REITEN GEHEN.

Golden Bay, Malta - Der tunesische Araber Ram hat gut auf mich aufgepasst!
Golden Bay, Malta – Der tunesische Araber Ram hat gut auf mich aufgepasst!

Es ging vor allem im letzten Post um Tiere und ein sehr empfindliches Thema, das vermutlich einen ganz großen Krater hinterlassen hat. Es tut immer noch weh. Und wieder war es ein Pferd, das wenige Tage später alles besser gemacht hat. Ich kann leider nicht sehr oft reiten gehen, aber ich habe es wieder getan. Es ist ein langwieriger Prozess und ich habe es hier schon einmal versucht, in Worte zu fassen. Es bringt überhaupt nichts, es formulieren zu wollen, man muss es fühlen. Ein Pferd fühlen, so ein Blödsinn, hat die Gruppe der Desinteressierten gesagt. Wenn sie meint.
Schon wieder gibt es Leute, die meinen, dass ich mich selbst belüge und schon wieder geht es um dieses kritische Thema Tiere, das mir alle ankreiden. Man fährt in ein anderes Land, geht auf einen Reiterhof und bekommt ein Pferd zugeteilt, das jeden Tag einen anderen Idioten ertragen muss. Es gibt Menschen, die sind gut zu Pferden und es gibt leider auch Menschen, die gehören vom Pferd zertrampelt. Vielen dieser Menschen, die ich kennen lernen durfte oder vielmehr musste, hätte ich das Pferd am liebsten weggenommen. Und auch in meiner Heimatstadt Leipzig bin ich immer noch am Suchen, wo ich denn regelmäßig reiten gehen könnte, ohne dass es zu einer emotionalen Belastung wird. Ich ertrage es nicht, wenn ein Pferd in ein Hologramm gestopft wird.

Hologramme sind dreidimensionale Aufnahmen von Gegenständen. Ein Pferd ist weder ein Gegenstand noch nur dreidimensional. Dafür hat es zu viel Tiefe und Wärme. Diese Wärme, das pulsierende Herz unter dem Fell, das Schnauben, das mir sagt, dass ich etwas anders machen muss, die Körperspannung, die mir Bilder mitteilen will. Und dann sitze ich dort oben und lächele, weil es nichts anderes gibt, was mich so glücklich machen kann. Was ist das eigentlich, “Glück”? Oder “glücklich sein”? Wenn man das googelt, landet man über viele Umwege früher oder später beim Hinduismus, Buddhismus, bei Meditationsansätzen oder in Indien, wo all das seinen spirituellen Ursprung hat. Ich habe eine gewaltige Portion Skepsis gegenüber dem Thema Religion und werde in der nächsten Zeit vermutlich auch nicht nach Indien kommen, daher muss die Meditation fürs erste genügen. Da ich das aber erst noch üben muss und noch nicht einmal weiß, ob es mir persönlich hilft, sollte ich vielleicht erst einmal auf die Dinge zurückgreifen, bei denen ich schon weiß, dass sie funktionieren. Ich brauche ein Pferd.
Ein Pferd hilft mir, mich so zu sehen, wie ich bin. Pur und frei von giftigen Zusätzen, auf denen ich zu viel Druck ablade. Ein Pferd erzählt in Bildern. Diese Tiere können allein mit ihren Augen und ihrer Körperhaltung meist klüger sprechen als so mancher Mensch. Und immer, wenn ich reiten gewesen bin, tritt diese Erkenntnis aus ihrem Schatten. Dann habe ich kreative Ideen, Zukunftsträume oder weiß, wo ich hingehöre. Dann mag ich mich ein keines bisschen mehr. Und muss nicht mehr mit Erschrecken feststellen, dass ich zum Einzelgänger mutiert bin.

©Kerstin Fiedler, Neukloster. Neuklosteraner See / TRÄUMEREIEN
©Kerstin Fiedler, Neukloster. Neuklosteraner See / TRÄUMEREIEN

Leider dauert dieser Moment immer nur kurz an. Solange der Ausritt geht, um genau zu sein. Und ein paar Nachwehen gibt es noch. Zurzeit gefällt mir mein Sturmgewirr nicht, es hängt kraftlos in den Seilen. Ich müsste eigentlich zum Reiten gehen, aber ich habe keine Zeit und somit kommen alle Veränderungen, die ich an mir nicht mag, gerade verstärkt zum Vorschein. Da wird in der Uni nicht aufgepasst, Zeit verschwendet oder Termine hinausgezögert. Da bin ich nicht mehr in der Lage, meine Umwelt wahrzunehmen.
Viele Leute sagen deshalb, ich sei komisch. Vielleicht haben sie Recht. Ich bin auf jeden Fall anders als noch vor einem Jahr. Es wäre ja auch schlimm, wenn man sich nicht verändert. Manchmal denke ich mir nur, dass solche Veränderungen weniger krass auch ganz nett wären, damit sie mich nicht überfordern. Ich habe Fernweh. Ich will reiten. Ich will wieder Dinge ganz allein nur für mich tun können. Oder ein bisschen nichts tun. Alles auf einmal schafft man vermutlich nicht. Die Reihenfolge ist entscheidend, hat mein Opa immer gesagt. Neues Jahr, neues Glück. Aufgabe: Leben genießen. Und Pferde.

[/showhide]