Dinge “einfach mal so” zu tun, davor fürchtet sich die Welt. Wir fürchten uns vor den Konsequenzen, die meistens weitreichender sind, als wir es in diesem Moment annehmen. Und doch gibt es so vieles, was man viel öfter einfach so tun sollte. Einfach so die Eltern anrufen und fragen, wie es ihnen geht, einfach so der älteren Dame über die Straße helfen, einfach so eine wildfremde Person anlächeln. Und dann gibt es mich. Ich ändere einfach so mal eben mein Leben.
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Es ist über ein Jahr her, dass ich zum letzten Mal etwas geschrieben habe. Es ist über ein Jahr her, dass ich durch den Balkan gereist bin, wie es mein letzter Post ja auch angekündigt hat. Es ist seltsam, dass man einen Blog hat, um genau solche Monsterreisen zu verarbeiten, aber letztendlich alles ganz anders macht, bis sich das Leben grundlegend ändert. Mein Leben hat sich geändert. Ich habe Entscheidungen getroffen, die vielen Kopfschmerzen und mir Überforderungsgefühle bereitet haben. Die Überforderung ist immer noch da, allerdings noch etwas anderes. Aber nehmen wir das mal von Anfang an auseinander.
Nach der Balkanreise habe ich Dinge getan, die ich nicht hätte tun sollen, die ich aber nicht bereue. Ich bin auch wieder auf Reisen gewesen, in Rumänien, in der Ukraine. In Polen, auf Mallorca und in Russland. Wahrscheinlich wird zu Letzterem ein Post kommen, da mir diese Reise viel bedeutet hat. Aber ich sollte aufhören, viel darüber zu reden, was ich letztendlich vielleicht sowieso nicht tun werde.
Eines habe ich allerdings getan. Ich habe es für mich getan, für mich ganz allein. Niemand hat mir bei dieser Entscheidung geholfen, niemand war dabei. Es haben nur entsetzlich viele Leute zugehört. Aber es ist meins und ich gebe es auch nicht her. Manchmal muss man egoistisch sein. Und ich war egoistisch genug, um etwas für mich zu tun, für mich ganz allein.
ICH BIN NACH BARCELONA GEZOGEN.
Einfach so. Einfach so und Punkt. Das war meine Entscheidung, zu der meine Freunde mich beglückwünschten und meine Mutter fast einen Herzkasper bekam. Inzwischen hat sie sich wieder beruhigt. Und auch akzeptiert, dass ich nicht vorhabe, in mein Heimatland zurückzukehren. Man kann natürlich nie für die Zukunft sprechen und wer weiß, wo ich morgen aufwachen werde, jedoch gehen meine Pläne weit genug. Auch wenn man in Spanien eigentlich keine Pläne machen kann.
Aber nun bin ich hier. Einfach so. Ich arbeite, ich habe einen Ort zum Wohnen und mittlerweile eine Sozialversicherungsnummer. Ich will hier fertig studieren. Und ich will nicht zurück. Es gibt vieles, was ich dafür aufgegeben habe und es ist mir bewusst, dass große Schritte nicht ohne große Folgen bleiben. Bisher beobachte ich nur positive Folgen. Und das nicht nur, weil ich jetzt noch besser spanisch sprechen kann.
Deutschland hat mich nicht glücklich gemacht. Vielleicht bin ich daran auch selbst ein bisschen schuld. Und vielleicht gehöre ich tief im Herzen tatsächlich nach Spanien, so wie es meine Freunde alle schon immer gesagt haben. Die Romy, die kommt ständig zu spät, hat keinen Plan und läuft barfuß über den Asphalt. Die Romy erscheint mit allem unwichtigen Krempel und vergisst das Wichtigste. Die Romy ist einfach so, ich erinnere mich an meine allerliebste Grundschullehrerin, die mir diese Charaktereigenschaften schon angehängt hat, als ich sieben Jahre alt war. Die Romy, unsere Träumerin. Und das gefällt mir, das mag ich.
In Deutschland leben kann man damit allerdings nicht. Wie oft habe ich Termine versaut, wie oft habe ich ausgeliehene Dinge erneut vergessen, mitzubringen, wie oft habe ich meine Kugelschreiber verloren. Zur Prüfung in der Uni fast zu spät gekommen, den Termin bei der Physiotherapie vergessen und das Semesterticket zu Hause liegen gelassen und unbemerkt schwarz gefahren. Und das sind nur einige Episoden.
Ich gehe mal davon aus, dass das jedem passiert, allerdings nicht in dieser Quantität wie mir. Von meinen Freunden liebevoll als Frisör betitelt (aus unbekannten Gründen gibt es in der deutschen Sprache diese Assoziation für einen sehr vergesslichen Menschen), spaziere ich durch mein Leben, manchmal mit dem größten Chaos, der größten Gedankenlosigkeit und nur der Hälfte in der Tasche. Das ist nicht immer gut so, aber immerhin bin ich 24 Jahre weit gekommen und habe es geschafft, mich an den unterschiedlichsten Orten der Welt zurechtzufinden.
Einen Ort gab es immer, an dem ich mich besonders gut zurecht gefunden habe. Wo ich ich selbst sein konnte und wo es nicht schlimm ist, barfuß durch die Straßen zu tanzen und alle Kugelschreiber zu vergessen. Und da bin ich jetzt. Ich atme wieder, ich genieße die spanische Sonne. Ich könnte weinen vor Glück, jeden Morgen in Barcelona aufwachen zu dürfen und lächle die Menschen in der Metro an, wenn ich zur Arbeit fahre. Manchmal fahren wir bei Nacht oder Sonnenuntergang mit dem Moped durch Barcelonas Straßen und ich fühle mich dann so frei und leicht, wie es in Deutschland nie und nirgendwo der Fall war. An meinem Lieblingsort habe ich bereits Stunden verbracht. Meine geschundenen Knochen haben wieder mehr Lust, sich zu bewegen und alles hinter sich zu lassen. Es ist nicht schlimm, wenn sie mal nicht mithalten können. Sie müssen nicht mehr immer nur 100 % geben und es fällt mir leichter, mir selbst Pausen zu gönnen, achtsam anzuhalten und durchzuatmen und nicht mehr alles so schnell wie möglich machen zu wollen. Perfektionismus ist gut, Unperfektionismus ist besser. Meinem Körper gefällt es hier, die deutschen Ketten wurden gesprengt. Ich muss meine kaputten Füße nicht mehr in Schuhe sperren, ich kann aufhören, gegen mein Herz zu arbeiten. Ich bin glücklich hier.
ICH BIN GLÜCKLICH – DU BIST GLÜCKLICH?
Es ist sehr leicht und gleichzeitig unglaublich schwer, zu sagen, dass man glücklich ist. Oft sagen wir es, ohne dass es stimmt. Ich habe vor meinem Umzug lange darüber nachgedacht, habe Listen geschrieben, Pro- und Kontra-Argumente gesammelt, Freunden alle verfügbaren Ohren abgekaut. Vor allem die liebe Lauri und die geniale Lydie sind mit mir von Anfang bis Ende durch diese Phase der Entscheidungsfindung gegangen. Es war keine leichte Entscheidung und keine Schnapsidee, die mir eine Woche lang durch den Kopf gegangen war und dann beschlossen wurde. Ich war über zwei Jahre lang damit beschäftigt, über meine persönliche Form von Glück nachzudenken.
Ich denke, dass ich sie gefunden habe. Ich hätte vor vielen Jahren niemals gedacht, dass es einmal eine Stadt sein wird und vielleicht ist es naiv, zu denken, dass man sein Leben und seine Herzensangelegenheiten an einem bestimmten Ort festmachen kann, aber im Moment bin ich der Meinung, das Richtige getan zu haben. Ich bin hier glücklich und schreibe das nicht als Floskel, weil es nun einmal jeder sagt, damit er etwas zu sagen hat. Mein Herz und mein Körper sind hier in dieser Stadt glücklich. Und kein anderer Ort, keine andere Stadt, kein anderes Land hat das bisher geschafft. Ich fühle mich hier lebendig, weil Barcelona es dir nicht verbietet, zu träumen und alles zu vergessen. Ich kann hier zu spät kommen, ich darf anhalten und durchatmen. Ich darf in der Warteschlange an der Kasse ein Lied summen, ohne dass mich jemand schief ansieht.
Das Leben in Spanien ist natürlich nicht Friede, Freude, Eierkuchen und es gibt Dinge, an die ich mich gewöhnen musste oder es immer noch muss. Dinge, die ich lernen muss, die eine Umstellung hervorrufen und die man nicht außer Acht lassen sollte. Der Ruf der spanischen Organisation (sofern sie denn vorhanden ist) hallt immens und zugegebenermaßen kommt man so ganz ohne Ordnung im Leben nicht sonderlich weit. Ich muss hier lernen, mich selbst besser zu sortieren, ich muss viele Dinge, die in Deutschland von selbst laufen, hier eigenständig in die Hand nehmen und darf nicht locker lassen. Ich darf mich nicht von anderen abhängig machen und muss zusehen, dass ich Dinge und Daten nicht verschlampe. Ich muss mich daran gewöhnen, dass von jetzt auf sofort hier gar nichts funktioniert. Die Spanier nehmen sich Zeit für alles, suchen sich immer Gründe und Feiertage, um nicht arbeiten zu müssen und liegen in Dingen wie Effizienz und Struktur weit hinter meinen Gewohnheiten zurück. Was nicht passt, wird halt passend gemacht. Es ist manchmal nervenaufreibend, dass man jeder Kleinigkeit selbst hinterher rennen muss, es aber auch nicht sonderlich tragisch ist, wenn man es nicht tut. Als ich mich im Sozialamt für meine fünfminütige Verspätung entschuldigt habe, hat man mich verdutzt und leicht belustigt angeschaut.
Ich muss sagen, mir gefällt das. Mir gefällt diese Lockerheit der Leute, wahrscheinlich weil ich genauso bin. Ich habe ein bisschen Chaos in meinem Leben gebraucht. Ich will mich selbst strukturieren können und kein Land, das mir die Struktur vorgibt. Ich will keine Herzenskälte mehr, nur weil die eigene Struktur mit der deutschen kollidiert ist und dem Land das nicht passt. Die Spanier sind unglaublich liebe Menschen und ich kann hier endlich ein Leben nach meinen Maßstäben aufbauen.
DANN BIST DU JA SO WEIT WEG!
Natürlich habe ich bisher auch schon Schattenseiten und Probleme durchlebt und es gibt Dinge, bei denen ich mich schwer tue, mich an sie zu gewöhnen, aber ich war mir vorher über die negativen Aspekte durchaus im Klaren und wäre meine Liste mit den Pro-Argumenten nicht um Welten länger gewesen (auch nach mehrmaligem Schreiben), hätte ich das nie gemacht. Ganz oben stand übrigens, dass ich in Barcelona ich selbst sein kann und das war mir das Wichtigste. Mit den Nachteilen leben kann ich allemal.
Selbstverständlich gibt es hier viele liebe Menschen, die mir helfen und mich unterstützen. Viele Freunde, die sich über die Jahre angesammelt haben, Liebe, Geborgenheit und ernst gemeintes Lachen. Hier lügt mir niemand vor lauter Kälte ins Gesicht. Und natürlich habe ich auch für dieses neue Leben, was ich jetzt führen möchte, in Deutschland sehr vieles aufgegeben. Meine Familie und Freunde werde ich vermissen, ganz klar, auch wenn es mittlerweile preislich keinen Unterschied mehr macht, ob man in den Zug oder ins Flugzeug steigt und somit der Satz “Dann bist du ja so weit weg!” (meine Mama inmitten ihres Herzkaspers) für mich kein Argument mehr ist. Ich werde bestimmte Denkweisen und Gegenstände vermissen, ich werde mein Land zu schätzen lernen, was man automatisch tut, wenn man nicht da ist. Sonst verflucht man es nur. Ich weiß, dass Deutschland ein sicheres, stabiles und eigentlich auch sehr schönes Land zum Leben ist und mir werden Dinge – angefangen beim System der gesetzlichen Krankenkassen über grüne Wälder bis hin zu Schmand zum Kuchenbacken – sehr fehlen. Aber ich will es so, da die Dinge, die ich dazugewonnen habe, all das nicht mehr so tragisch aussehen lassen. Man kann auch ohne Schmand Kuchen backen.
Ich will in Spanien leben und behalte mein Land in wunderbarer Erinnerung und Wertschätzung, da es mich großgezogen und zu dem gemacht hat, was ich heute bin. Ich werde immer typisch deutsch bleiben, mit all den verrückten Eigenheiten und Spleens, die die Deutschen nun einmal so an sich haben (nur die weißen Socken in den Sandalen lassen wir mal weg), ich werde auch meinen deutschen Pass nicht abgeben. Ich bin Deutsche und vielleicht kommen mein Land und ich eines Tag zueinander zurück, aber für den Moment war die Trennung nötig und schön. Halt eben einfach so.
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